»News« - Dekonstruktion der Aufmerksamkeit bei Rosefeldt & Steinle

Nachrichtensendungen heißen Tagesschau, Aktuelle Kamera, Heute oder RTL aktuell. Diese Namen enthalten das Versprechen, dass es hier um News geht, um Neuigkeiten vom Tage. Täglich wird in den Nachrichten der verschiedenen Sender und Kanäle berichtet, immer zur selben Zeit, immer in derselben Länge. Wir sind eingestellt auf 15 Minuten Neuigkeiten pro Tag. Niklas Luhmann erinnert daran, wie fragwürdig es tatsächlich ist, dass sich jeden Tag gerade soviel Neues ereignen soll, dass es die Hauptnachrichten füllt.

Wir sind an tägliche Nachrichten gewöhnt, aber man sollte sich trotzdem die evolutionäre Unwahrscheinlichkeit einer solchen Annahme vor Augen führen. Gerade wenn man mit Nachrichten die Vorstellung des Überraschenden, Neuen, Interessanten, Mitteilungswürdigen verbindet, liegt es ja viel näher, nicht täglich im gleichen Format darüber zu berichten, sondern darauf zu warten, dass etwas geschieht und es dann bekannt zu machen. So das 16. Jahrhundert in der Form von Flugblättern, Balladen, Kriminalgeschichten aus Anlass von Hinrichtungen etc.

Die Nachrichten-Formate der Massenmedien scheinen sich zumindest soweit von den Ereignissen emanzipiert zu haben, dass sie jeden Tag dasselbe Quantum News verbreiten können. Die hohe Aufmerksamkeit, welche die Nachrichten nicht nur im Fernsehen jeden Tag durch den Verweis auf ihre Aktualität für sich reklamieren und erhalten, ist unabhängig davon geworden, was sich in der Welt an Neuem ereignet hat. Piero Steinle vermutet, dass die Fernsehnachrichten zwar "naiv proklamieren, das täglich Neue und Aktuelle zu zeigen", tatsächlich aber "in diametralem Gegensatz zu ihrem Namen und Anspruch" stehen.17 Was aber erzeugt dann die Aufmerksamkeit für die News, wenn nicht der ‚Neuigkeitswert' der Nachrichten? Die Installation "News" von Rosefeldt und Steinle gibt darauf eine deutliche Antwort: das Prinzip der Wiederholung.

Die Künstler haben aus den Archiven der deutschen TV-Nachrichten Bild- und Tonmaterial zu Sequenzen zusammengestellt, die das täglich Neue als Wiederkehr des Immergleichen entlarven: Politikertreffen, Katastrophen, Wetterberichte, Schlussverkäufe und vieles mehr aus vierzig Jahren News flimmern über zwei gigantische Leinwände. Die Sequenzen sind thematisch gruppiert und heben hervor, was sonst nicht auffällt. Was neu und aktuell zu sein scheint, hat sich schon tausendfach so abgespielt: immer wieder schütteln sich Politiker die Hände, immer wieder schwenkt die Kamera vom Redner auf das Publikum oder auf die Kameras und Mikrophone der übrigen Medienvertreter, immer wieder landen und starten Flugzeuge, immer wieder stürmen Menschenmengen durch die Kaufhaustüren auf die Sonderangebote zu, immer wieder stehen Autoschlangen im Urlaubsstau. "Verfolgt man diese Inhalte über die Jahre, dann entpuppen sie sich vielfach als Varianten identischer Ereignis- und Kommentierungstypologien". Was auch an "Überraschendem, Neuem, Interessantem, Mitteilungswürdigem" in der Welt stattgefunden haben mag, stattfindet oder noch stattfinden wird: es wird in einem dieser Klischees gesendet oder überhaupt nicht. Eine die Videosequenzen begleitende Tonspur, die dutzendfache Minimalvariationen etwa von Staumeldungen, von der Atmosphäre eines politischen Treffens oder von Todesanzeigen hören lässt, verdeutlicht die Dominanz des medialen Formats über das Ereignis, den Triumph des redundanten Rahmens über die Einmaligkeit der Dinge. Obschon kein Zweifel daran bestehen kann, dass alles, was sich in der Welt ereignet, zur selben Zeit nur einmal ereignet und daher neu ist, verblasst die externe Referenz aller Nachrichten angesichts ihrer Sequenzierung, welche dafür ihre vergessene Form deutlich hervortreten lässt. "Als Elemente einer seriellen Reihung offenbaren die Nachrichtenfragmente noch deutlicher ihren formalen Charakter, in der steten Wiederholung verlieren sie vollends ihre Bedeutung."

Die Videoinstallation News inszeniert geradezu Luhmanns These von der "evolutionären Unwahrscheinlichkeit" täglicher Nachrichten. Sie legt die Überlegung nahe, dass sich die Aufmerksamkeit in den Massenmedien nicht der Neuigkeit der Ereignisse verdankt, sondern durch bestimmte Formate generiert wird. Nicht das Ereignis macht die Headline, sondern die Platzierung der Nachricht auf der ersten Seite verwandelt sie in einen Aufmacher; nicht die politische Äußerung ist so merkwürdig, dass sie aufmerksam macht, sondern der Kameraschwenk vom Politiker über lauschende oder applaudierende Gäste und mitschreibende Journalisten verschafft jedem Statement erst die erwünschte Beachtung. Nicht die Information informiert, sondern ihr "Rahmen" hebt sie hervor und sorgt für Anteilnahme. "Eine Information", schreibt Rosefeldt, "die nicht in unendlicher Wiederholung verbreitet wird, wird nicht wahrgenommen und somit - im Sinne des Wortes - auch nicht als wahr genommen." (....)

Niels Werber: Zweierlei Aufmerksamkeit in Medien, Kunst und Politik, Kunstforum, jan 2000, p 139-151

Wie machen wirs, daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sei?
Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen -
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt Ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!
Solch ein Ragout, es muß Euch glücken!
Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
In bunten Bildern wenig Klarheit,
Viel Irrtum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
der alle Welt erquickt und auferbaut...
Dann wird bald dies, bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht, was er im Herzen trägt.

J.W.G. , Faust

Das tägliche Welttheater - die Fernsehnachrichten

Man stelle sich vor: Pünktlich, zur angekündigten Stunde setzt die Musik ein. Der Vorhang geht auf. Auf der Bühne sitzt der Sprecher an einem Tisch, frontal uns in die Augen schauend. Freundlich begrüßt er uns. Im selben Atemzug verkündet er einige schreckliche Meldungen, die er, wie er sagt, während des Stücks präsentieren und bildlich vor Augen führen möchte. Wir warten voll Spannung des Kommenden. Nach einer kurzen Einführung macht er die Bühne frei für die Darbietung kurzweiliger Episoden von Machtkämpfen, Katastrophen, menschlichen Tragödien und Alltagsereignissen. Zwischen den einzelnen Akten taucht er kommentierend und blätterwendend auf und führt uns "mit bedächt'ger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle". Mit Spiel und dem, was der Himmel uns morgen bringt, schließt er die Vorstellung ab - und wünscht uns noch einen schönen Abend. Musik setzt ein, der Vorhang fällt.

Die Fernsehnachrichten als tägliche Aufführung einer Weltheater-Vorstellung - das Bild gefällt mir, denn es beleuchtet die wesentlichen Aspekte der Präsentation und Inszenierung. Doch genau dieses Bild scheuen die Fernsehnachrichten wie der Teufel das Weihwasser, obwohl sie sich hartnäckig szenographischer Mittel bedienen. Naiv proklamieren sie, das täglich Neue und Aktuelle zu zeigen, die Realität und nichts als die Realität. Alle Elemente (Sprechen, Dekor, Reportagetechnik ff.) setzen sie mit dem Ziele, das Präsentierte als real, als objektiv wirklich erscheinen zu lassen. Der implizierte Wahrheitsanspruch ist gleichzeitig die Voraussetzung, daß der Zuschauer aus dem Dargebotenen ein verbindliches Weltbild ableiten kann. Es ist wohl nicht übertrieben zu behaupten, daß das bundesrepublikanische Weltbild entscheidend von Tagesschau und Heute konstituiert wurde. Die erstaunliche Kohärenz und Logik, die über Jahre hin mutatis mutandis gleichbleibende Erscheinungsform jener von Millionen konsumierten Sendungen ermöglichen und garantieren per se eine inzwischen historisch abgesicherte Weltsicht.

Der Sprecher
Er ist da, täglich und pünktlich, er ist unser Zeitgenosse par excellence, er wird älter wie wir, und irgendwann ist er nicht mehr da und irgendwann ist er tot. Sein Tod ist dann selbst Thema der Nachrichten. Das ist wunderbar in der Tagesschau mitzuverfolgen: diese Sprechergestalten, die seit Jahrzehnten die Welt erzählen und am Ende wie Barden oder Troubadoure aussehen. Homerisches Alter kündet vom homerischen Erzähler. Eine Selbstironie, zu der die Privatsender, die "Jungen", noch nicht in der Lage sind, da sie naiverweise das schnelle Auswechseln ihrer Sprecher mit Aktualität gleichsetzen.

Aber was bedeutet dieser merkwürdige Sprecher? Warum gibt es ihn überhaupt? Immerhin ist seine Existenz nicht selbstverständlich. Die ältesten Filmnachrichten, die Wochenschauen, kamen ohne ihn aus und auch einige der neuen TV-Sender verzichten auf ihn. Doch in den allermeisten Fernsehnachrichten hält er seit Erfindung des Fernsehens unangefochten seine Stellung. An einem Schreibtisch sitzend, von einem Stoß Papiere langsam und deutlich die Meldungen ablesend, dem Publikum ab und zu oder - in neueren Varianten - ständig ins Auge blickend. Früher wirkte er etwas verloren an seinem großen Tisch, heute wird er größer ins Bild gerückt. Immer ist er seriös gekleidet und wohlgepflegt. Seine Mimik ist auf ein Minimum reduziert, Emotionen liegen ihm fern, das höchste der Gefühle ist ein Lächeln. Bei den Privatsendern gab es zwar in diesem Bereich Entgleitungen ins Melodramatische und Komische, aber diese wurden relativ schnell zurückgenommen. Die erstaunliche seit über 40 Jahren bewiesene Überlebensfähigkeit dieser Figur läßt sich nur aus irrationalen Motiven erklären: das Publikum glaubt an ihn, es braucht ihn. Der Sprecher ist die emblematische Figur, die eine sonst eher flüchtige Wirklichkeit als objektiv verbindliche Nachricht bündelt; er verkündet, was heute von Wichtigkeit und Aktualität ist; er ist Regierungssprecher des Realen, Herold der Weltereignisse, la bocca della veritá. Die archaischen Bedürfnisse des Publikums scheinen so stark zu sein, daß sie auf eine Inkarnation ihres Wirklichkeits-Verkünders nicht verzichten wollen. Der primordiale Augenkontakt verbürgt die Authentizität des Berichteten.

Medusa
Was passiert mit dem Zuschauer? Ich habe die Übung gemacht, mich selbst beim Nachrichtenschauen abzufilmen. Das Resultat war deprimierend. Obwohl ich mich bemüht hatte, dem Nachrichtensprecher einen halbwegs intelligenten Eindruck zu machen, wirkte mein Blick ausgesprochen stumpf, verschwommen, leer und hohl, um nicht zu sagen belämmert. Die Augen fixierten nichts und niemanden. Immerhin kam mir die zaubermächtige Medusa in den Sinn, die jeden erstarren läßt, der ihr ins Auge schaut. Eine schöne mythologische Erklärung für den Bann, der ausgeht von jener Mattscheibe. So verweilt in merkwürdiger Erstarrung der Mensch vor dem medusenhaften TV-Auge, minuten- und stundenlang. Welch anderes Objekt gibt es auf der Erde, das der Mensch so lange unverwandten Auges, unbeweglich, schweigend, über die Jahre hinweg, anblickt. Hypnose, Anbetung, Verzauberung...? Wenn es stimmt, daß das Gehirn, wie Forscher behaupten, alles, was jemals die Netzhaut berührt hat, abspeichert und irgendwo in den Windungen archiviert, dann muß jenes Fernsehbild allgemein und regelrecht eingebrannt sein, und speziell jenes Weltbild, das die täglichen Fernsehnachrichten produzieren. Kollektive Erstarrung.

Was kann den Bann des Medusenblicks brechen? Paul Virilio: il faut lire, il faut parler, il faut écrire.

Schweigen
Das Schweigen ist etwas, was in den Fernsehnachrichten nicht existiert. Notwendigerweise. Sie wollen vom Weltgeschehen berichten. Insofern handelt es sich um eine redundante Aussage. Interessant wird sie aber durch den Umstand, daß jedermann jederzeit die Fernsehnachrichten ins Schweigen stürzen kann - durch das Abdrehen des Tons. In diesem Moment passiert etwas Erstaunliches. Den Bildern wird sofort ihre Brisanz und Bedeutung geraubt, sie verlieren schlagartig ihre Existenzberechtigung als aktuelle Nachrichtenbilder. Plötzlich scheinen sie einem rätselhaften Niemandsland zu schweben, zeitlich und geographisch nicht mehr richtig ortbar, beliebig, altbekannt, ohne spezifische Relevanz. Ein schemenhafter Bildernebel aus Katastrophen, politischen Hohlgesten, Redebemühungen, Alltagsgequirl, Statistiken, Wetterkarten reiht sich aneinander zu einem schwer erträglichen Sammelsurium von Belanglosigkeiten und Déjà-Vu-Erlebnissen. Wer hat es jemals geschafft, wen hat es jemals interessiert, eine ganze Nachrichtensendung ohne Ton durchzustehen? Wenn also nur der Ton den Bildern Relevanz und Aktualität verleiht, wozu dann die ganzen Bilder, das ganze Theater? Weil wir Bilder von allen Dingen wollen, aber nicht x-beliebige (wie sie es ja meist tatsächlich sind), sondern präsentierte, d.h. mit Bedeutung und klaren Bezügen versehene. Allein der Satz: "das passierte heute" scheint einem x-beliebigen Flugzeugabsturz (der nach seiner Bildinformation auch vor 5 oder 15 Jahren sich hätte ereignen können) Brisanz zu verleihen. Die Dinge, die Bilder müssen benannt, kategorisiert, in Beziehung zum Jetzt und Heute des Zuschauers gebracht werden, und simsalabim: sie sind interessant. Eine ernüchternde Erkenntnis, die die Verfügbarkeit, die Manipulierbarkeit der Bilder genau beleuchtet.

Als Komplementärübung ist es spannend, das Bild abzuschalten. Was man dann so hört, ist meist von einer Einfachheit, Abgedroschenheit, Vordergründigkeit, die erst auffällt, wenn man sich auf das Wort konzentriert. Bringt man die Worte dann noch zu Papier, springen die Beziehungsfehler, Ungereimtheiten ungehindert ins Auge. Doch die Bilder scheinen die Ohren zu betäuben. Das Amalgam von Wort und Bild reduziert die Kritikfähigkeit und produziert einen geradezu unwahrscheinlichen Eindruck von Stimmig- und Richtigkeit.

Wiederholung
Die Fernsehnachrichten sind in diametralem Gegensatz zu ihrem Namen und Anspruch (vgl. news, nouvelles) alles andere als Neuigkeiten oder Aktualitäten. Ich möchte behaupten, daß ihre Grundstruktur und ihr Funktionsmechanismus auf dem Prinzip der Wiederholung basiert.

Die Präsentation: jede Nachrichtensendung versucht sich ein definitves Image zu geben, sozuagen eine corporate identity. Diese ergibt sich aus dem kontinuierlichen Einsatz einer beschränkten Anzahl von Sprechern, aus der täglichen Wiederholung desselben Dekors (Tisch, Hintergrund, Bildausschnitt etc.), aus der Kultivierung eines bestimmten Sprech- und Gestikstils, aus der Prägung bestimmter dramatischer Koordinaten: Einleitung und Schluß mit Jingle, Logo, Kamerafahrten, Begrüßungs- und Verabschiedungszeremoniell, Abfolge der einzelnen Nachrichtenteile. Durch tägliche Wiederholung werden diese unterschiedlichen Elemente standardisiert. Am besten gelungen ist dies bisher der Tagesschau, die seit über 40 Jahren ihr Erscheinungsbild nur minimal modifiziert hat und täglich die höchsten Einschaltquoten verzeichnet.

90 Prozent der in den Nachrichten gezeigten Bilder sind alte Bilder: altbekannte. Sie beschränken sich auf eine geringe Anzahl von Kategorien: Katastrophen- und Kriegsmeldungen, Politikeralltag, jahreszeitliche Wiederholungen (Oktoberfest, Schlußverkauf, 1.Mai, Ferienstau ff), tägliche Wiederholungen (Sport, Wetter, Lotto). Das Erstaunliche ist nun, daß die altbekannten immer neu sich erreignenden Geschehnisse mit fast konstanten Bildschemata illustriert werden. Eine genauere Analyse der gezeigten Bilder und Bildfolgen ergibt eine auf wenige Typologien beschränkte Ikonographie. So wird zum Beispiel das Ereignis "Politikerempfang/Konferenz" immer mit denselben Bildelementen präsentiert: Ankunft (Gangway des Flugzeugs, Vorfahren mit dem Auto), Händeschütteln, Fahnen, Gebäude (meist Schwenk von oben nach unten), Schild (z.B. Innenministerium), Konferenztisch (falls er rund ist, animiert er die Kameraleute regelmäßig zum Rundschwenk), Akten, Journalisten beim Knipsen und Filmen, Türenschließen, kurzes Statement des vorbeieilendem Politikers etc.. Während diese schematisch wiederholten Bilder meist für die Nachrichtensendung vor Ort am selben Tag entstehen, stammt das "aktuelle" Bildmaterial vieler anderer Themenbereiche (Verkehrsstau, Krieg, Schlußverkauf, Oktoberfest...) oft aus dem Archiv. Reproduktion per Knopfdruck. Gäbe es nicht gewisse Verifikationsmöglichkeiten, so könnte man sich mit Leichtigkeit vorstellen, daß die Nachrichtensender uns dank ihres Archivmaterials jahrelang mit News versorgen könnten, die sich in ihrer Authentizität in keiner erkennbaren Weise von dem unterscheiden, was wir täglich sehen.

Die Sprache des Sprechers ist eine Nachrichten-Kunstsprache, eine Terminologie, die man in dieser Weise nur im Fernsehen antrifft. Die Sätze müssen kurz, einfach, verständlich aber auch unmißverständlich nachrichtentypisch sein. Einerseits ist also das Vokabular und die grammatikalische Struktur extrem simpel, andererseits mit eintrainierten Metaphern verballhornt. Auch Aussprache, Tonfall, Tonfarbe, Rhythmik, Intonation sind strengen Ritualisierungen unterworfen.

Absurderweise leitet sich die Relevanz eines Ereignisses auch nicht aus seiner Besonderheit, Einmaligkeit ab, sondern ganz im Gegenteil daraus, daß es auch die anderen Medien für relevant erklären. (Wir erlebten einmal in der Regie eines Nachrichtenstudios, daß der Chefredakteur von zu Hause aus anrief, um kurz vor Sendung seinen Redakteuren mitzuteilen, daß sie sofort einen Bericht über ein Ereignis bringen müßten, über das vor einer Viertelstunde der Konkurrenzsender berichtet hat). Eine Ereignis muß also wiederholt werden, möglichst häufig und von möglichst vielen, um Bedeutung und Wichtigkeit zu erlangen, um überhaupt eine Information zu sein.

Die unentwegten Wiederholungen in Bild und Sprache lassen sich vordergründig aus dem pragmatischen Umstand ableiten, daß die Kameraleute einfach die Bildsprache übernehmen, die ihre Kollegen mit Erfolg praktizieren, und die Redakteure aus Zeitgründen die älteren Beiträge zum selben Thema kopieren. "Da nimmst du noch ein Bild von damals rein, den Text kannst du auch fast übernehmen...". Dies funktioniert in allen Fernsehredaktionen dank des unausgesprochenen Konsenses es mit der Wirklichkeit nicht so genau zu nehmen...

Durch die Wiederholung der immerselben Bilder und Ereignisse nach jeweils senderspezifisch analogen Präsentationsmustern ergibt sich im Laufe der Jahre folgendes Phänomen: Die Welt - ganz im Gegensatz zu dem, was sie in Wirklichkeit in ihrer atemberaubenden Vielfältigkeit und Unfassbarkeit ist - erscheint als Vertrautes, als etwas, was sich ganz eng in den Grenzen des zu Erwartenden ereignet. Das "Neue", "Aktuelle" erschöpft sich in der Qualität, am heutigen Tag passiert zu sein, doch dessen Aneignung und Präsentation reproduziert prinzipiell eingefahrene Schemata und formt die Ereignisse sofort zum Altbekannten um. Die TV-Nachrichten konstituieren also auf Grund ihrer repetitiven Muster eine durch und durch normale kalkulierbare Welt. So, als ob die Botschaft hieße: ihr habt heute wieder die Neuigkeiten dieser Welt erfahren, ihr seid informiert, ihr seid vielleicht ergriffen, aber beunruhigt euch nicht. Die Welt ist auch heute so wie ihr sie kennt, wie sie immer war. Und das ist keine punktuelle Botschaft, sondern eine existentielle. Sie beruht auf Bildern, Berichten, Sätzen, die sich in der Psyche des Zuschauers durch jahrelange Infiltration als Sedimente abgelagert haben und daraus eine substantiellen Wahrheitsanspruch ableiten. Die Bild- und Wort-Tautologien erweisen sich als Grundprinzip einer sozialen Konsensmaschinerie. Das Zitieren, Imitieren, Kopieren erbringt die Bestätigung von dem, was alle denken. Das tägliche Déjà-Vu-et-Entendu-et-Attendu-Erlebnis reproduziert die kollektive Weltsicht. Insofern sind die Fernsehnachrichten (paradigmatisch für das Fernsehen) das soziale Integrationsinstrument par excellence, die Basis des modernen Konformismus.

Anachronismus
Manchmal scheint mir, daß diese Fernsehnachrichten etwas unglaublich Altmodisches, Anachronistisches sind, Phänomene des ausgehenden 20. Jahrhunderts, Phänomene der Indoktrination, der Selbstbeschwichtigung und -befriedung. Wenn man diesen psalmodierenden Sprecher betrachtet, eingebettet in seinem Theaterdekor, in seine Begrüßungs- und Verabschiedungsrituale, diesen hilflosen auf Ernsthaftigkeit und Authentizitätsansprüche (die Wahrheit der Ereignisse im Gepäck!) bedachten Mimen, so muß man ab und zu lächeln, daß hier so einfache altbackene durchschaubare Präsentationsformen bis ins "hochmoderne" Medienzeitalter überlebt haben. Mit einer gewissen Sentimentalität stellt man erstaunt fest, daß es jene nette tägliche fünfzehnminütige Nachrichtentheater tatsächlich noch gibt, das so adrett die Welt zusammenmischt und in wohlverdauliche Häppchen verpackt. Blickt man dann ins Internet mit seiner vielgelobten Informationsvielfalt und dem langersehnten interaktiven Zugriff, so erkennt man schnell, daß sich zwar die Präsentationsform verändert - man wird anscheinend selbst zum Nachrichtenredakteur, der die Sendung zusammenstellt - , die Vorauswahl der Nachrichten aber weiterhin von den anderen getroffen wird. Es findet nur eine Verlagerung statt. Der heteronome Betrug wird zur Selbsttäuschung des nun plötzlich frei wählenden Subjekts. Die Täuschungsmechanismen verfeinern sich, bleiben aber mutatis mutandis dieselben. Das Spiel geht weiter. Man kann das auch so formulieren: das heutige Fernsehen als objektive Instanz nimmt einem die Entscheidungsverantwortung ab, indem es die Welt der Bevölkerung so präsentiert, wie diese die Welt sehen möchte, um ungestört post fornacem ihr Leben zu fristen. Es ist schließlich nicht das Fernsehen, das eine artifzielle Welt kreiert, es ist vielmehr das Zuschauermeer, das sich kollektiv eine solche wünscht. Insofern ist die Weltpräsentation des Fernsehens ein genauer Reflex eines gewünschten Weltbilds, das aber als scheinbar objektiv präsentiertes ein befriedigendes Sich-selbst-auf-die Schulter-Klopfen auslöst. Das wird sich prinzipiell nicht ändern, wenn man per Internet nun sein eigener chef de cuisine wird. Angenommen, alle möglichen Nachrichten wären verfügbar auf dem WWW, so könnte man sie aufgrund ihrer Quantität gar nicht aufnehmen, sie wären wie ein undechiffrierbares Geräusch. Also wird man sich einer Vorauswahl bedienen, d.h. wiederum einer Präsentation in Wort und Bild. Der einzige Vorteil: man kann schneller das eliminieren, was man nicht hören und sehen will. Doch was will man hören und sehen? Köpcke, Wieben, Meiser und Gerboth wußten es. Lange mögen sie leben.

Piero Steinle, in: Armin Zweite, Reinhard Spieler, Doris Krystof, Egbert Knobloch, Piero Steinle, Julian Rosefeldt, Paul Virilio: News, Heidelberg, 1998

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